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„In Phasen wie diesen entstehen Träume“

Porsche-Chef Oliver Blume über unternehmerische Verantwortung, Konzentration auf das Wesentliche und Optimismus.

Herr Blume, die Corona-Krise nimmt Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in Beschlag und diktiert ein neues Regelwerk – auch bei Porsche. Woran orientieren Sie sich in dieser Zeit?
Orientierung geben uns die zentralen Werte unserer Porsche-Kultur. Mehr denn je geht es jetzt darum, sich für die Gesellschaft und unsere Mitmenschen zu engagieren: aufeinander achten und Verantwortung übernehmen – wie in einer Familie. Diese Werte gelten über die Werkstore hinaus. Aktuell konzentrieren wir uns darauf, wo wir als Unternehmen helfen können. Wir haben in den vergangenen Wochen zum Beispiel die Krisenstäbe von Baden-Württemberg und Sachsen mit Experten der beiden Beratungsgesellschaften Porsche Consulting und MHP unterstützt und für beide Bundesländer federführend die Beschaffung von Schutzmaterial in China übernommen. Zudem haben wir unsere Mitarbeiter zu ehrenamtlicher Hilfe aufgerufen und spenden weltweit an wohltätige Organisationen. Das ist unser unternehmerisches Selbstverständnis.

Sollten Unternehmen sich grundsätzlich stärker bei staatlichen Aufgaben einbringen, so wie Porsche es bei der Beschaffung von medizinischer Schutzausrüstung tat?
Porsche fördert seit Langem eine Vielzahl gemeinnütziger Initiativen. Solidarität und soziales Engagement sind für uns selbstverständlich. Jetzt – in der Krise – sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich gefordert, ihre Beiträge zu leisten. Ich bin sicher: Im Schulterschluss werden wir die Krise erfolgreich meistern. Solche Erfahrungen können unser gesellschaftliches Zusammenleben langfristig prägen – zum Wohle aller.

Sie sprechen den Gedanken des familiären Miteinanders an – bei Porsche umfasst Ihre Familie mehr als 35.000 Menschen. Sehr viel Verantwortung für einen Vorstand, wenn es um so etwas Elementares wie den Erhalt der Gesundheit geht. 
Es ist unser Anspruch, die Krise systematisch und verantwortungsvoll zu managen. Dazu gehört, dass wir sehr früh reagiert haben. Gleich nachdem das Coronavirus in China sichtbar wurde, setzten wir bei Porsche einen Expertenkreis ein. Dieser beurteilt die Lage rund um die Uhr. Etliche Entscheidungen wurden hier getroffen. Höchste Priorität hat dabei stets der Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das bedeutet: Alle Beschäftigten, die mobil arbeiten können, tun dies auch. Besprechungen finden virtuell statt, Dienstreisen werden gestrichen. Es gibt nur wenige Ausnahmen absolut notwendiger Reisen. Wer dennoch von einem internationalen Flug zurückkehrt, bleibt präventiv zwei Wochen zu Hause. Wir machen keine Kompromisse. Die Gesundheit aller liegt uns am Herzen.

Die Corona-Krise kam plötzlich, Ihren Mitarbeitern in dem Expertenkreis blieb keine Zeit für Lehrstunden.
Jeder Einzelne war sofort gefordert, seinen inneren Kompass darauf auszurichten. Dass dies auf Anhieb gelang, macht mich stolz. Die Kolleginnen und Kollegen leisten eine hervorragende Arbeit. Der Krisenstab kam täglich zusammen. Auch der Vorstand traf sich alle zwei Tage zu einer Sondersitzung. Gemeinsam wurden Hunderte Fragen erörtert: Wo wird das Desinfektionsmittel für die Belegschaft stationiert? Wie ändern wir die Essensausgabe in den Kantinen? Wie organisieren wir nach dem Produktionsstopp den Wiederanlauf unserer Werke in Zuffenhausen und Leipzig? In welchen Schritten können die Beschäftigten in die Büros zurückkehren?

Welche Entscheidungen sind Ihnen besonders schwergefallen?
Wir wollten die Produktion zunächst nur für zwei Wochen ruhen lassen. Am Ende wurden sechs Wochen daraus. Ursache waren Engpässe in den globalen Lieferketten. Doch das tat richtig weh. Aber wir lassen uns nicht beirren: Wir schauen nach vorne und wollen nach der Krise so schnell wie möglich wieder Vollgas geben. Ich sehe für die Zukunft von Porsche große Chancen: Wir hatten in den zurückliegenden Jahren eine riesige Produktoffensive, darunter Ende 2019 der Taycan. Das ist ein hervorragendes Fundament, auf das wir bauen können.

Die Stabilität globaler Lieferketten steht seit Beginn der Krise in der Diskussion. Muss die Autoindustrie umdenken und darauf achten, dass Kaufteile auch in der Nähe statt in Übersee hergestellt werden?
Wir konzentrieren uns jetzt auf das Wesentliche. Bei den Lieferketten heißt das: Welche Wege sind tatsächlich nötig? Wie können wir den Logistikaufwand reduzieren? Porsche stellt sich da künftig noch robuster auf. Gleichzeitig schauen wir auch über den Tellerrand hinaus und fragen uns: Wie nachhaltig ist unsere Lieferkette? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir im Konzern ein Rating für Lieferanten entwickelt. Es beinhaltet ökologische und soziale Komponenten. Dies fließt in unsere Vergaben ein.

Porsche setzt traditionell auf enge Partnerschaften mit Zulieferern, sogar schon in der Entwicklung. Wie wird sich dieses Verhältnis in Zukunft verändern?
Langjährige Partner stößt man nicht vor den Kopf, wenn es mal Schwierigkeiten gibt. Auch das ist Teil der Porsche-Kultur. Unsere Zulieferer wissen, dass sie mit Porsche einen verlässlichen Partner an ihrer Seite haben. Unsere Signale lauten: Wir stehen das gemeinsam durch.

Die Corona-Krise platzte sozusagen mitten in die Transformation in der Automobilindustrie hin zur E-Mobilität. Wird sich diese jetzt verzögern?
Ganz sicher nicht. Bei Porsche haben wir bereits vor Jahren eine klare, nachhaltige Produktstrategie beschlossen. Diesen Weg gehen wir nicht nur konsequent weiter. Ich glaube sogar: Das Leben nach der Krise wird bewusster, es wird einen deutlichen Schub geben in Richtung E-Mobilität. Viele Menschen machen sich gerade Gedanken, was das Leben lebenswert macht. Ich gehe davon aus, dass emissionsarme Technologien dabei noch stärker in den Vordergrund rücken. Auch deshalb halten wir an unseren hohen Investitionen in Zukunftstechnologien fest.

Die Megathemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung haben also jetzt nicht Pause? 
Nein, wir stehen zu den CO2-Zielen und setzen unsere Nachhaltigkeitsstrategie ohne Wenn und Aber fort. Dabei lassen wir uns von Experten beraten. In den nächsten fünf Jahren investieren wir 15 Milliarden Euro für Themen wie E-Mobilität, nachhaltige Produktion und Digitalisierung. Daran ändert die Corona-Krise nichts.

Seit Jahren erzielt Porsche immer neue Rekordergebnisse. In den letzten fünf Jahren wurde das Ergebnis um mehr als 60 Prozent verbessert. Wie stehen die Chancen, daran bald wieder anzuknüpfen?
In den kommenden Monaten bleibt unser wirtschaftliches und politisches Umfeld herausfordernd. Wir stellen uns bei Porsche darauf ein. Hierzu gehören Maßnahmen, die zur Effizienzsteigerung beitragen. Längerfristig werden wir neue profitable Geschäftsfelder erschließen. An unserem strategischen Ziel einer operativen Umsatzrendite von 15 Prozent halten wir weiter fest.

Was denken Sie, wie lange es dauern wird, bis sich die Wirtschaft insgesamt erholt? 
Die tatsächlichen Folgen der Corona-Krise sind noch nicht absehbar – das gilt für Porsche, für die Wirtschaft und für die Gesellschaft. Jetzt kommt es auf eine Initialzündung für die Konjunktur an. Wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise und müssen eine Abwärtsspirale vermeiden. Grundsatzdiskussionen sind jetzt fehl am Platz. Der Fokus liegt auf Konjunktur und Tempo, sonst läuft uns die Zeit davon.

Wenn Sie in die Zukunft schauen, was macht Sie zuversichtlich?
Der Optimismus, mit dem so viele um mich herum jetzt ans Werk gehen. Alle haben das Wesentliche im Blick, alle halten zusammen. Und gerade in Phasen wie diesen entstehen bei Menschen Träume und Bedürfnisse. Der Bedarf an Sportwagen ist nach der Krise vielleicht sogar höher als vorher, das wäre zumindest mein Wunsch.

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